Tausende Menschen gingen in ganz Deutschland auf die Straßen, um mit Regenbogenflaggen und Plakaten mit der Aufschrift „Choose Love“ ein Zeichen zu setzen. Wenige Tage vor einer Wahl, bei der die rechtsextreme AfD voraussichtlich zweitstärkste Kraft im Bundestag wird, demonstrierten LGBTQ+-Aktivist*innen in 50 Städten. Die Kundgebungen sollten die Stärke der Gemeinschaft zeigen und ein Zeichen gegen die zunehmende Feindseligkeit setzen.
„Viele queere Menschen sind durch die soziale und politische Lage verunsichert“, erklärten die Organisator*innen der landesweiten Proteste Mitte Februar. „Der Ton gegen uns wird schärfer, und die liberale Demokratie steht unter Druck.“
Wachsende Bedrohung für LGBTQ+-Rechte
Seit Jahren kämpfen Menschenrechtsorganisationen gegen die AfD, die sich gegen die Ehe für alle, sichere Gemeinschaftsräume und einen diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung und reproduktiven Rechten stellt.
Die Wahl am Sonntag könnte diese Herausforderungen verstärken, da Prognosen darauf hindeuten, dass sich die Unterstützung für die AfD verdoppeln könnte – ein historisch beispielloses Ergebnis in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Alva Träbert, Vorstandsmitglied des LSVD und der Federation Queer Diversity, warnte: „Wir erleben, dass politische Akteure gezielt anti-queere und anti-trans Politiken in ihre Wahlkampagnen aufnehmen. Dies dient dazu, marginalisierte Gruppen für größere gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu machen und gleichzeitig Diskriminierung und Hass zu legitimieren.“
Das Wahlprogramm der AfD definiert Familie ausschließlich als „Vater, Mutter, Kinder“ und lehnt andere Familienformen ab. Zudem fordert die Partei den Schutz Minderjähriger vor einer angeblichen „Trans-Ideologie, Frühsexualisierung und Gender-Ideologie“.
Die Auswirkungen dieser Hetze sind spürbar: Laut Aktivist*innen gab es im vergangenen Jahr mindestens 26 Angriffe durch rechtsextreme Gruppen auf Pride-Märsche. Träbert betonte: „So erschreckend und beängstigend diese Entwicklung ist, sie überrascht nicht. Wir wissen aus der Geschichte: Gewalt beginnt mit Worten – und Worte führen zu Taten.“
Trotz der Angst erfährt die LGBTQ+-Community auch viel Solidarität. Menschen reisen aus ganz Deutschland zu Pride-Veranstaltungen, andere engagieren sich erstmals als Aktivist*innen.
AfD und CDU-CSU bedrohen Selbstbestimmungsgesetz
Umfragen deuten darauf hin, dass das konservative CDU-CSU-Bündnis mit etwa 28 % der Stimmen stärkste Kraft wird, gefolgt von der AfD.
Obwohl CDU-Chef Friedrich Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat, stimmte er mit ihr in einer nicht-bindenden Resolution zur Grenzpolitik überein. Träbert sieht darin eine bedenkliche Entwicklung: „Zunehmend versuchen auch gemäßigtere Parteien, Wähler*innen zurückzugewinnen, indem sie AfD-Positionen übernehmen.“
Sowohl die AfD als auch die CDU/CSU wollen das Selbstbestimmungsgesetz kippen, das seit November 2023 in Kraft ist und es trans, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen erleichtert, ihren Namen und Geschlechtseintrag zu ändern. Träbert nennt dies eine „ernsthafte Bedrohung“ für die Betroffenen.
Die Rolle von Alice Weidel
Die AfD setzt sich konsequent für den Abbau von LGBTQ+-Rechten ein – eine scheinbare Ironie, da ihre Spitzenkandidatin Alice Weidel offen lesbisch ist und mit ihrer Frau aus Sri Lanka zwei Kinder großzieht.
„Alice Weidel dient als Feigenblatt“, erklärte der Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann von der Universität Mannheim. „Wenn man der AfD Rassismus vorwirft, wird auf Weidels nicht-weiße Partnerin verwiesen. Wenn man sagt, die AfD sei homophob, wird Weidels sexuelle Orientierung betont. Doch sie teilt die Identität der LGBTQ+-Gemeinschaft nicht.“
Die AfD lehnte eine Stellungnahme ab. Ein hochrangiger Parteifunktionär erklärte jedoch gegenüber der Financial Times: „Sie ist biologisch homosexuell, aber nicht aus politischer Überzeugung.“
In den vergangenen Monaten suchte Weidel verstärkt Verbündete unter LGBTQ+-feindlichen Politikern, darunter Elon Musk, der „den woken Virus“ für die Transition seiner trans Tochter verantwortlich macht, und Ungarns Premierminister Viktor Orbán, der als einer der schärfsten Gegner der LGBTQ+-Rechte in Europa gilt.
Als Weidel Orbán in Budapest traf, schrieb die Labrisz Lesbian Association, Mitbegründerin der Budapest Pride, einen offenen Brief. Darin hieß es:
„Willkommen in einem Land, in dem lesbische Frauen von künstlicher Befruchtung ausgeschlossen sind, keine Kinder adoptieren dürfen und, falls sie bereits Kinder haben, nur eine von ihnen offiziell als Elternteil anerkannt wird.“
Der Brief kritisierte die offensichtliche Heuchelei: „Orbán und seine homophoben Mitstreiter werden Ihnen Ihre Sexualität aus politischem Kalkül nachsehen. Er wird Ihnen nicht sagen, dass Sie ungeeignet sind, Kinder zu erziehen oder Ihre eigenen Kinder verderben. Und Sie werden beim Händeschütteln mit Orbán diskret nicht an Ihre Familie denken, während Sie in die Kameras lächeln.“
Zum Abschluss stand die zentrale Frage, die in Ungarn, Deutschland und darüber hinaus gestellt wurde:
„Liebe Alice Weidel, welche Botschaft senden Sie mit Ihrem Besuch an lesbische Frauen in Ungarn?“