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Die stille Helium-Krise: Warum ein unsichtbares Gas unsere Technologien bedroht

by Michael Blaser
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Helium ist extrem leicht, chemisch träge und dennoch essenziell für viele Technologien – doch es wird knapp.
Nancy Washton erinnert sich genau an den Schock, als ihre Heliumlieferung überraschend abgesagt wurde.

Anfang 2022 informierte der Lieferant ihr Forschungsteam am Pacific Northwest National Laboratory, dass keine Lieferung erfolgen werde. Die globale Knappheit zwang Unternehmen zur Rationierung – auch in der Forschung.

Statt der üblichen 2.500 Liter erhielt das Labor deutlich weniger. Im April standen ihnen weniger als die Hälfte zur Verfügung.

Mehrere Geräte waren auf flüssiges Helium angewiesen. Die Forscher mussten Entscheidungen treffen, welche Anlagen weiterliefen.

Washtons wichtigstes Gerät war ein hochmodernes Kernspinresonanz-Spektrometer. Es verbrauchte viel Helium, analysierte aber Strukturen auf molekularer Ebene.

Dieses einzige seiner Art in Nordamerika lieferte schon im ersten Jahr revolutionäre Ergebnisse.
Magnesiumoxidproben zeigten darin: Diese Mineralien können aktiv CO₂ aus der Atmosphäre entfernen.

Ein Durchbruch für die sogenannte Karbonatbindung – bisher nur theoretisch untersucht.
„Wir hatten nie Beweise für solche Reaktionen auf diesem Material“, sagt Washton. „Die Daten haben mich sprachlos gemacht.“

Doch dann stoppte alles. Das Gerät verbrauchte zu viel Helium. Die Forscher schalteten es ab und lagerten es ein.

Es blieb mehrere Monate still – bis die Versorgung gesichert war. Heute läuft es wieder, aber niemand weiß, wie lange.

Ein instabiles Versorgungssystem unter globalem Druck

Die Raumfahrt kühlt mit Helium ihre Sensoren, spült Triebwerke und drückt Raketentreibstoff durch die Leitungen.
Auch Teilchenbeschleuniger, wie das CERN, sowie MRT-Geräte verlassen sich auf Helium zur Kühlung ihrer Supraleiter.

In Krankenhäusern kühlt Helium die starken Magnete der Diagnosesysteme. Weltweit entfallen rund 32 % des Bedarfs auf medizinische Einrichtungen.

Halbleiterhersteller, Ballonproduzenten, Schweißer und Airbag-Fabriken benötigen Helium ebenfalls.
Tiefseetaucher atmen Helium-Sauerstoff-Gemische, um gefährliche Dekompression zu vermeiden.

Helium entzündet sich nicht, gefriert selbst bei -273 °C nicht und verdampft bei unfassbaren -269 °C.
„Helium ist einzigartig im Universum“, sagt Chemieprofessorin Sophia Hayes aus St. Louis.

Wird es extrem gekühlt, wird es zum Superfluid. Es fließt reibungslos, klettert sogar Wände hoch – ohne je stehen zu bleiben.

Das macht es ideal für supraleitende Systeme. Doch seit 2006 erlebt die Welt wiederholt Helium-Engpässe.

Die schwerste begann im Januar 2022. Brände in russischen Anlagen, der Ukrainekrieg und Wartungen in Katar verschärften die Lage.

Gleichzeitig legte die US-Heliumreserve ihre Anlagen still. 10 % der weltweiten Produktion fielen plötzlich weg.
2023 hatte sich der Markt nicht erholt – die Preise hatten sich fast verdoppelt.

Im September 2024 verschärfte die EU Sanktionen gegen Russland und stoppte Heliumimporte.
Russlands Marktanteil war gering, aber die Auswirkungen spürbar.

Gleichzeitig verkaufte die US-Regierung ihre strategische Heliumreserve an das deutsche Unternehmen Messer.
Fachgremien warnten: Der freie Markt könnte das Versorgungssystem gefährden.

Premier Inc., ein Lieferant für Kliniken, befürchtete ernsthafte Folgen für die Patientenversorgung.

Kurz nach dem Verkauf beantragte Messer eine einstweilige Verfügung gegen die Stilllegung einer wichtigen Anreicherungsanlage.
Ein Betreiber geriet in Zahlungsnot – doch Messer versichert, dass der Betrieb seitdem stabil läuft.

Heute liefern die USA 46 % des weltweiten Heliums. Fällt diese Quelle erneut aus, spüren es alle.

Recycling, Forschung und Hoffnung auf neue Quellen

Wissenschaftler und Unternehmen suchen nach Lösungen. Besonders im Fokus: der enorme Verbrauch von MRT-Geräten.

Ein Standardgerät braucht rund 2.000 Liter Helium. Ohne Nachschub überhitzen die Magneten. Dann kommt es zum „Quench“.
Dabei entweicht das Helium schlagartig – oft irreversibel. Der Schaden kann ganze Systeme zerstören.

Neue Modelle verwenden geschlossene Kreisläufe. Sie benötigen nur noch einen Liter Helium.
Diese Systeme arbeiten bereits in Kliniken und Forschungszentren, doch sie sind teuer.

Über 35.000 klassische MRTs weltweit lassen sich nicht schnell ersetzen.
Zudem liefern neue Geräte nur 1,5 Tesla – das ist etwa die Hälfte der älteren Generation.

„Höhere Feldstärken ermöglichen schnellere und genauere Scans“, erklärt Sharon Giles vom King’s College London.
Für Routinediagnosen reichen die neuen Geräte – für Spezialfälle eher nicht.

Andere Forscher entwickeln Supraleiter, die ohne Helium auskommen.
Einige Labore investieren in Rückgewinnungssysteme, um verdampftes Helium zu recyceln.

Nicholas Fitzkee von der Mississippi State University will damit 90 % des Heliums jährlich zurückgewinnen.
Die Anlage kostet rund 300.000 Dollar – sie soll sich in sechs Jahren amortisieren.

Solche Systeme sind technisch aufwendig. Leitungen, Ventile und Messgeräte müssen perfekt zusammenarbeiten.
„Viele verstehen nicht, warum man dafür 600.000 Dollar braucht“, meint Washton. „Es wirkt wie neue Rohre – ohne Prestige.“

Es gibt aber Hoffnung: In Katar entsteht bis 2027 eine neue Produktionsanlage.
In Tansania beginnt 2025 die Förderung eines riesigen Heliumfelds – das erste bewusst entdeckte seiner Art.

Auch China meldete neue Vorkommen in der Bohai-Bucht.
Christopher Ballentine von der Universität Oxford war an der Entdeckung in Tansania beteiligt.

Er warnt: „Solche Projekte brauchen viel Kapital und jahrelange Vorbereitung.“
Die letzten Engpässe zeigen, wie kostbar und endlich Helium wirklich ist.

Washton bringt es auf den Punkt: „Stellen Sie sich vor, Ihre Großmutter bekommt kein MRT mehr, weil kein Helium da ist.“
Sie mahnt: „Wir müssen handeln – bevor es zu spät ist.

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