Regierungschefin unter Verdacht
Die römische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Italiens Premierministerin Giorgia Meloni wegen der umstrittenen Freilassung eines libyschen Beamten, der der Folter beschuldigt wird. Auch Justizminister Carlo Nordio, Innenminister Matteo Piantedosi und Staatssekretär Alfredo Mantovano stehen im Fokus der Ermittlungen. Dieser Fall verschärft die ohnehin angespannte Beziehung zwischen der italienischen Regierung und der Justiz.
Meloni selbst informierte die Öffentlichkeit über die Ermittlungen in einem Video, das sie in den sozialen Medien veröffentlichte. Ihr Ton schwankte zwischen Empörung und Belustigung. „Der Oberstaatsanwalt von Rom, Francesco Lo Voi – derselbe, der bereits mit seinem Verfahren gegen Matteo Salvini gescheitert ist – hat mir mitgeteilt, dass gegen mich wegen Begünstigung und Veruntreuung ermittelt wird“, erklärte sie. Sie unterstellte politischen Gegnern, sie attackieren zu wollen, weil sie Italien verändere. „Ich bin nicht erpressbar und lasse mich nicht einschüchtern. Ich werde weitermachen – mit erhobenem Kopf und ohne Angst.“
Die umstrittene Abschiebung eines libyschen Beamten
Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Festnahme und anschließende Freilassung von Najeem Osama Almasri, einem hochrangigen libyschen Polizeibeamten. Italienische Behörden verhafteten ihn am 19. Januar in Turin aufgrund eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Doch bereits drei Tage später wurde er in eine Maschine der italienischen Luftwaffe gesetzt und nach Libyen ausgeflogen – auf Kosten des italienischen Staates.
Almasri soll als Leiter eines libyschen Folterlagers schwerste Verbrechen gegen Migranten begangen haben. Dennoch verweigerte Justizminister Nordio die notwendige Genehmigung für seine Inhaftierung. Ohne diese Bestätigung konnte der zuständige Richter den Haftbefehl nicht vollstrecken und musste Almasri freilassen. Oppositionsparteien kritisierten den Vorgang scharf und bezeichneten ihn als „Luxusabschiebung“. Viele vermuten, dass es sich um eine geheime Abmachung mit Libyen handelt.
Melonis Regierung ist auf Libyen angewiesen, um die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren Libyens Umgang mit Migranten, doch Italien hält an der Zusammenarbeit fest. Kritiker werfen der Regierung vor, den Haftbefehl aus Den Haag bewusst ignoriert zu haben, um diplomatische Beziehungen zu schützen. Die Opposition sieht darin einen Beweis, dass politische Interessen über rechtsstaatliche Prinzipien gestellt wurden.
Justiz gegen Regierung: Ein eskalierender Machtkampf
Die Ermittlungen verstärken den anhaltenden Konflikt zwischen Melonis Regierung und der Justiz. Ihre geplante Justizreform zielt darauf ab, die Autonomie der Staatsanwälte einzuschränken. Viele Juristen und Richter sehen darin einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz. Einige glauben, dass die Ermittlungen eine Reaktion auf diese Reformpläne sind.
In Italien genießt die Justiz eine außergewöhnliche Unabhängigkeit. Staatsanwälte unterstehen weder dem Parlament noch der Regierung, was ihnen große Freiheit bei Ermittlungen gegen Politiker gibt. Diese Autonomie hat dazu beigetragen, Korruption und Mafia-Verbindungen aufzudecken. Kritiker argumentieren jedoch, dass manche Staatsanwälte ihre Befugnisse für politische Zwecke nutzen.
Laut der Zeitung La Stampa wurden sieben der letzten zwölf italienischen Ministerpräsidenten strafrechtlich verfolgt. Nur einer – Silvio Berlusconi – wurde verurteilt. Statistisch gesehen muss Meloni sich also kaum Sorgen machen. Doch der Fall zeigt, wie tief der Konflikt zwischen Italiens Regierung und seiner Justiz verwurzelt ist.
Die Ermittlungen werfen zentrale Fragen auf: Hat Melonis Regierung rechtswidrig gehandelt, oder sind die Vorwürfe ein politischer Angriff? Die Auseinandersetzung zwischen Justiz und Politik geht in eine neue Runde.