Indiens Herausforderungen im globalen KI-Rennen
Zwei Jahre nach dem weltweiten Erfolg von ChatGPT hat China mit DeepSeek für Aufsehen gesorgt. Die Kosten für die Entwicklung generativer KI-Anwendungen sind drastisch gesunken. Doch während der globale Wettbewerb um KI-Vormachtstellung intensiver wird, scheint Indien zurückzufallen. Ein eigenes, grundlegendes Sprachmodell zur Entwicklung von Chatbots fehlt bisher.
Die Regierung behauptet, ein eigenes Pendant zu DeepSeek sei nicht mehr weit entfernt. Sie unterstützt Start-ups, Universitäten und Forscher mit tausenden High-End-Chips. So soll das Modell in weniger als zehn Monaten entstehen.
Auch weltweit führende KI-Experten loben Indiens Potenzial. OpenAI-Chef Sam Altman, einst skeptisch, betonte kürzlich Indiens wichtige Rolle in der KI-Revolution. OpenAI hat Indien inzwischen als zweitgrößten Markt nach Nutzern eingestuft. Microsoft investiert 3 Milliarden Dollar in Cloud- und KI-Infrastruktur. Nvidia-Chef Jensen Huang hält Indiens technische Talente für entscheidend, um zukünftige Innovationen zu ermöglichen.
Mit 200 Start-ups im Bereich generativer KI herrscht viel unternehmerische Dynamik. Dennoch könnte Indien zurückfallen, wenn strukturelle Probleme in Bildung, Forschung und staatlicher Politik ungelöst bleiben.
Der Rückstand gegenüber China und den USA
Laut Experten haben China und die USA einen Vorsprung von vier bis fünf Jahren. Sie investieren massiv in Forschung, Akademien und nutzen KI in Militär- und Sicherheitsanwendungen sowie für große Sprachmodelle. Obwohl Indien in den Top fünf des Stanford AI Vibrancy Index rangiert, liegt es in vielen entscheidenden Bereichen weit hinter den beiden Supermächten.
China und die USA erhielten zwischen 2010 und 2022 60 % bzw. 20 % der weltweiten KI-Patente. Indien erhielt weniger als 0,5 %. Auch private Investitionen in indische KI-Start-ups blieben im Vergleich zu US- und chinesischen Unternehmen gering.
Indiens staatlich finanzierte KI-Initiative beläuft sich auf lediglich 1 Milliarde Dollar. Im Vergleich dazu hat die US-Regierung für das Stargate-Projekt 500 Milliarden Dollar bereitgestellt, um massive KI-Infrastruktur aufzubauen. China plant Investitionen von 137 Milliarden Dollar, um bis 2030 ein globales KI-Zentrum zu werden.
DeepSeek zeigt, dass KI-Modelle mit älteren, günstigeren Chips entwickelt werden können. Doch fehlende langfristige Kapitalquellen aus Industrie und Regierung bleiben ein Hindernis, warnt Jaspreet Bindra, KI-Berater. “Auch wenn DeepSeek mit 5,6 Millionen Dollar entwickelt wurde, stand deutlich mehr Kapital dahinter.”
Ein weiteres Problem ist der Mangel an qualitativ hochwertigen, spezifisch indischen Datensätzen für regionale Sprachen wie Hindi, Marathi oder Tamil. Angesichts der sprachlichen Vielfalt Indiens ist dies eine zentrale Herausforderung.
Trotzdem hat Indien ein enormes Talentpotenzial. 15 % der weltweiten KI-Fachkräfte stammen aus dem Land. Doch laut der Stanford-Studie zur KI-Talentmigration verlassen immer mehr von ihnen das Land. Der Grund: “Bahnbrechende KI-Innovationen entstehen oft durch tiefgehende Forschung in Universitäten und Unternehmenslaboren”, erklärt Bindra. Indien fehlt jedoch ein starkes Forschungsumfeld, aus dem bahnbrechende Technologien hervorgehen.
Indiens Erfolg bei digitalen Zahlungssystemen war auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Industrie und Wissenschaft zurückzuführen. Ein ähnliches Modell wäre für die KI-Entwicklung erforderlich. Die Unified Payment Interface (UPI), ein von der Regierung entwickeltes System, hat digitale Zahlungen in Indien revolutioniert.
Bengalurus 200-Milliarden-Dollar-Outsourcing-Industrie mit Millionen von Programmierern hätte Indiens KI-Ambitionen antreiben können. Doch IT-Unternehmen blieben auf kostengünstige Dienstleistungen fokussiert, anstatt bahnbrechende KI-Technologien zu entwickeln. “Diese Lücke mussten die Start-ups schließen”, erklärt Analyst Prasanto Roy.
Ob Start-ups und Regierungsinitiativen diese Last schnell genug tragen können, ist jedoch fraglich. Die von der Regierung gesetzte Zehn-Monats-Frist erscheint als Reaktion auf DeepSeek verfrüht. “Indien wird in den nächsten Jahren kein Modell wie DeepSeek entwickeln können”, so Roy. Viele Experten teilen diese Meinung.
Indien kann jedoch bestehende Open-Source-Plattformen wie DeepSeek weiterentwickeln, um seine eigene KI-Fortschritt zu beschleunigen, erklärte Bhavish Agarwal, Gründer des frühen indischen KI-Start-ups Krutrim.
Langfristig wird ein eigenes Sprachmodell jedoch essenziell sein, um strategische Unabhängigkeit in der KI-Industrie zu erreichen und Importabhängigkeiten oder Sanktionen zu vermeiden. Dafür muss Indien seine Rechenleistung und Hardware-Infrastruktur ausbauen, insbesondere durch die Produktion von Halbleitern – ein Bereich, der bisher kaum vorangekommen ist.
Viele dieser Elemente müssen erst zusammenkommen, bevor Indien seinen Abstand zu den USA und China nennenswert verringern kann.