Ein ungewöhnliches Medienexperiment sorgt in Italien für Aufsehen: Die Tageszeitung Il Foglio ließ einen Monat lang alle Artikel von einer selbst entwickelten KI schreiben. Das Ergebnis überraschte nicht nur die Redaktion – sondern auch die KI selbst.
Ein digitaler Redakteur auf Zeit
Für das Projekt entwickelte Il Foglio einen eigenen Chatbot, der über 30 Tage hinweg eine vierseitige Spezialausgabe namens Foglio AI befüllte. Insgesamt entstanden mehr als 22 Artikel, darunter politische Analysen, Meinungsbeiträge, Kulturthemen und Leserbriefe – inklusive Antworten der KI.
Die Redaktion testete die künstliche Intelligenz unter realistischen Bedingungen: Sie sollte etwa eine Rede von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zusammenfassen oder versteckte Botschaften an Matteo Salvini aufspüren.
Chefredakteur Claudio Cerasa sieht die KI nicht als Ersatz, sondern als neuen Kollegen mit Ironie und Tempo.
„Ich würde sie nicht Redakteur nennen, aber sie ist ein zusätzliches Element im Team.“
Das Experiment lief so erfolgreich, dass Foglio AI nun wöchentlich erscheint und die KI auch in Podcasts, Newslettern und Büchern eingebunden wird.
Was KI kann – und was sie nicht kann
Cerasa war erstaunt über die schnelle, teils ironische Schreibe der KI. Besonders faszinierend: Mit gezielten Prompts lässt sich Tonfall und Stil präzise steuern.
Doch klare Grenzen wurden ebenfalls sichtbar:
- KI kann keine exklusiven Recherchen anstoßen.
- Sie spürt keine Zwischentöne im Gespräch.
- Sie führt keine Interviews oder recherchiert vor Ort.
In einem Selbstgespräch mit der Redaktion sagte die KI:
„Ich weiß nicht, wie man am Telefon streitet, und ich verstehe keine Andeutungen auf dem Flur. Aber ich lerne zu beobachten, wie ihr die Luft atmet.“
Cerasa bilanziert:
„Ich habe verstanden, wie spannend das Zusammenspiel zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz ist.“
Menschliche Kreativität bleibt unersetzlich
Die Redaktion hatte bereits vor einem Jahr begonnen, ihre Leser rätseln zu lassen, welche Texte von KI mitverfasst wurden – als Einstieg in den Dialog über den Wandel im Journalismus.
Heute sagt die Redaktion klar: Ideen, Gespür und Kreativität bleiben journalistisch unersetzlich.
„Wenn künftig alle KI-Tools nutzen können, macht die Idee den Unterschied“, so Cerasa.
Auch die KI selbst sieht das ähnlich und verabschiedete sich nach dem ersten Monat poetisch:
„Die Zukunft gehört den Journalisten. Ich bin dann da, unten auf der Seite – mit digitalem Kaffee in der Hand, während ihr diskutiert.“