Home » Untersuchungshaft in der Kritik: Schweiz setzt auf lange Isolation ohne Urteil

Untersuchungshaft in der Kritik: Schweiz setzt auf lange Isolation ohne Urteil

by Michael Blaser
0 comments

Überfüllte Zellen und harte Bedingungen für Häftlinge

Untersuchungshäftlinge bleiben heute im Schnitt über 70 Tage in Haft, obwohl sie noch kein Urteil erhalten haben. Die Haftbedingungen sind streng: Kein Kontakt zur Außenwelt, keine Arbeit, kaum Bewegung. Verteidiger Lukas Bürge berichtet von Klienten, die zwischen Kajütenbetten am Boden schlafen. Zellen, die einst für zwei Personen gebaut wurden, beherbergen inzwischen oft drei Insassen. In Bern liegt die Belegung der Gefängnisse bei 130 Prozent.

Langsame Verfahren durch Gesetze und digitale Beweise

Laut SRF hat sich die durchschnittliche U-Haft-Dauer in 15 Jahren verdoppelt. Bürge erklärt, dass die Bedingungen in U-Haft deutlich schlechter seien als im Strafvollzug. Die Suizidrate ist hier am höchsten. Die 2011 eingeführte Strafprozessordnung erschwert laut Generalstaatsanwältin Schultz viele Abläufe. Verfahren wurden komplexer, da einheitliche Regeln nun für alle Kantone gelten. Hinzu kommt der digitale Aufwand: Die Auswertung von Handys und Computern dauert oft Monate. Verdächtige warten diese Zeit in U-Haft ab, ohne dass neue Erkenntnisse vorliegen.

Rekordzahlen und politische Diskussionen um mehr Härte

Ende 2024 saßen laut Bundesamt für Statistik 2211 Personen in Untersuchungshaft – so viele wie noch nie. Offiziell ist die U-Haft auf drei Monate begrenzt, doch sie wird häufig verlängert. Schultz betont, man halte alle gesetzlichen Fristen ein und bearbeite solche Fälle vorrangig. Bürge fordert dennoch mehr Personal in den Ermittlungsbehörden. Er vermutet zudem einen gesellschaftlichen Trend zu mehr Repression und Nulltoleranz. Laut ihm bleiben Verdächtige deshalb länger in Haft. Schultz widerspricht dem und verweist auf gesetzliche Vorgaben.

Schweiz mit Spitzenwert in Westeuropa

Die Menschenrechtsorganisation Humanrights.ch sieht die Schweiz in Westeuropa an der Spitze bei U-Haft-Zahlen. Nur Belgien weist vergleichbare Werte pro 100’000 Einwohner auf. Eine laufende Untersuchung im Auftrag der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen soll Ursachen klären. Ergebnisse werden erst in zwei Jahren erwartet – bis dahin bleiben viele Hintergründe im Dunkeln.

You may also like

Feature Posts

Recent Post

Newsletter